Brückenmusik – Wie es begann

 

Der dreiteilige Raum der Deutzer Brücke ist für die Öffentlichkeit normalerweise nicht zugänglich: zwei der Räume haben eine Länge von je 130 Metern, der mittlere, zwischen den Strompfeilern gelegene, hat eine Länge von etwa 180 Metern, seine Breite beträgt 10 Meter, die Höhe variiert zwischen zweieinhalb und fünf Metern. Unter akustischen Gesichtspunkten betrachtet, handelt es sich um einen ausgedehnten Klang- oder vielmehr Hall-Raum, der allerdings akustisch nicht leer wie ein elektronisches Hallgerät ist. Im Unterschied etwa zum „sakralen Hallraum“ einer Kirche habe ich ihn mal einen „weltlichen Hallraum“ genannt. Denn über die Fahrbahndecke werden ständig Klänge von Autos und besonders Straßenbahnen in das Innere des Raums übertragen. Der Ausdruck „schmuddelige Kathedrale“ ist ebenfalls sehr zutreffend, ebenso wie „Tunnel über dem Wasser“. Das sind so ungefähr die Variablen, mit denen man es als Künstler und als Kurator hier zu tun hat.

Zum erstenmal habe ich den Innenraum der Deutzer Brücke 1985 im Rahmen des vom Studio Akustische Kunst (Klaus Schöning/WDR) kuratierten akustischen Projekts »Metropolis Köln« des amerikanischen Klangkünstlers Bill Fontana betreten, das ich zu organisieren hatte. Ich war beeindruckt von den Dimensionen, der magischen Stimmung dieses mir zunächst unendlich erscheinenden, nur von einigen Neonröhren erhellten Betontunnels über dem Rhein. Bill installierte 2 Mikrophone, deren Signale mittels Postleitungen zum Roncalli-Platz übertragen wurde. Insgesamt waren es 18 Leitungen mit live-übertragenen Klängen aus Köln. Bill kannte sich mit Brückenkonstuktionen aus, er hatte 1983 in New York seine »Brooklyn Bridge Sound Sculpture« realisiert und bemerkt, dass es in der Deutzer Brücke neben der alten Eisenstruktur im 1976 angebauten Betonteil einen Hohlraum geben müsse, und so war es auch. 1987 bei der »Soundbridge Köln-San Francisco« des WDR benutzten wir dieselbe Mikrophon-Konfiguration ein zweites Mal. 

Seit dieser Zeit beschäftigte mich die Idee, diesen Raum für künstlerische Projekte zu nutzen. Dies gelang allerdings erst im Juni 1995 mit der ersten »BrückenMusik«, wie die Veranstaltung seither benannt ist – Namensgeber war Manos Tsangaris. Durch einen glücklichen Umstand ergab es sich, dass die Kölner Gesellschaft für Neue Musik Geld übrig hatte, da ein Projekt ausgefallen war. Der in dieser Zeit für die Finanzen zuständige Gerd von Velsen stellte wohlwollend einen Betrag zur Verfügung, mit dem ich an die Arbeit gehen konnte. Der anfängliche, ausschließlich von der KGM getragene Etat betrug bescheidene 3.000 DM, mit dem 2 Veranstaltungen durchgeführt werden konnten! Heute ist die »BrückenMusik« um ein vielfaches höher dotiert. Herrmann-Christoph Müller war in dieser frühen Zeit mein Mitarbeiter. Der damalige Amtsleiter des zuständigen städtischen Amtes für Brücken und Stadtbahnbau Willi Leclair gestattete großzügig und verständnisvoll die Nutzung der Deutzer Brücke zu künstlerischen Zwecken. In diesen unschuldigen Zeiten konnte man solche Angelegenheiten noch mit einem einfachen Telephongespräch regeln. Die Beziehung zum zuständigen Amt ist über die Jahre sehr kooperativ und freundlich zustimmend gewesen. Bis zu seinem Ruhestand 2004 war Leclairs Nachfolger Reinhard Thon ein sehr engagierter Förderer unserer Aktivitäten und ebenso sein Nachfolger Gerd Neweling.

Mein Interesse für den Raum sowie die spätere Konzeption der »BrückenMusik« wurde insbesondere von der Klangkunst beeinflusst. Ich hatte mich lange Jahre sehr intensiv mit der experimentellen Musik (Cage, Chr. Wolff, A. Lucier usw.) beschäftigt und war in den 80er Jahren auf dieses neue Genre gestoßen, das ausgehend und in Erweiterung davon die Verbindung von akustischer und visueller Kunst propagierte – ein neues und faszinierendes Feld für mich, das ich in häufigen Besuchen im von Paul Panhuysen geleiteten Apollohuis in Eindhoven kennenlernte.

Die Künstler des 1. Konzerts waren die französische Komponistin Eliane Radigue sowie der amerikanische Live-Elektronik-Komponist Nicolas Collins. Im 2. Konzert inszenierte Alvin Lucier seine »Migrations«. Drei Gruppen, die drei Kompositionen Luciers (»Vespers«, ein »Vokal-Stück für pure wave oscillator« sowie »Chambers«) zugeordnet waren, zogen langsam durch die gesamte Brücke. Für den Rückweg bekamen die Mitwirkenden Knackfrösche aus Blech in die Hand gedrückt, die ich im Spielwaren-Großhandel gekauft hatte, mit denen sie nach Herzenslust die Akustik im Brückenraum testen konnten – eine meiner schönsten Erinnerungen an die Brücke. Ca. siebenundvierzig Mitwirkende wurden von H.C. Müller und mir organisiert, einer von ihnen war ein gewisser hans w. koch, den ich aber erst Jahre später persönlich kennenlernte. Seit 2000 haben wir die »BrückenMusik« gemeinsam geleitet, bis ich ihm die Veranstaltung 2004 übergab. Zu den Veranstaltungen in den ersten Jahren kamen 200 bis 300 Zuschauer, was heute aufgrund der aktuellen Bestimmungen leider nicht mehr möglich ist. Zweimal schaffte ich es, in die WDR-Sendung  »Mosaik« eingeladen zu werden, was sich als sehr erfolgreich erwies. Die Ankündigungen habe ich am Anfang persönlich verteilt, z.B. vor dem Funkhaus.

Peter Behrendsen

September 2020